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Kaum Kontrolle: Coronavirus-Selbsttest unter Aufsicht bringt den Infektionsschutz nicht voran

Eine am vergangenen Donnerstag veröffentlichte Recherche von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung zu nichtärztlichen Corona-Schnelltestzentren hat bundesweit neue Kontrollen und Betrugsermittlungen ausgelöst. Erste Kurskorrekturen mit Bezug zur Kommerzialisierung der Infektionstests deuten sich an: Mehrere Bundesländer prüfen bereits einen Zulassungsstopp für neue gewerbliche Corona-Tester. Das heutige Presse-Briefing des Bundesgesundheitsministers und des RKI-Chefs ließ jedoch noch aus einem anderen Grund aufhorchen. Erstmals wurde die Einführung von Coronavirus-Selbsttests unter Aufsicht angedeutet. Wenn dieses neue Verfahren in die Corona-Testverordnung eingeführt werde, ei mit einer Vergütung unter dem Niveau der herkömmlichen PoC-Antigentests in den Testzentren zu rechnen, so das Signal aus der Berliner Bundespressekonferenz. Bundesweit reagierten Anbieter "digitaler Testzentren" spontan mit selbstbewussten Medien-Briefings.

 

Ein Zertifikat über einen negativen Corona-Test erhalten, ohne das Haus verlassen zu müssen. Diese vermeintliche Win-Win-Situation für gewerbliche Teste-Anbieter, die einen Selbsttest per Videocall überwachen, und ihre Vertragspartner am heimischen Küchentisch hat ihre Tücken. Bei genauerer Betrachtung verbindet das "digitale Testzentrum" die Nachteile der Vor-Ort-Antigen-Schnelltests mit den Schwächen der in Deutschland jede Woche millionenfach praktizierten Selbsttests.

"Digitale Testzentren" kombinieren fehleranfällige Testkonzepte statt sie zu korrigieren

Warum kann ein digitales Testzentrum aus zwei fehlerbehafteten Testkonzepten -- dem nichtärztlich geführten kommerziellen Schnelltest-Zentrum und dem Laien-Selbsttest für Zuhause -- keine gute Innovation im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie machen?

  • Das Grundproblem der Kommerzialisierung der Infektionsdiagnostik bleibt bestehen: Die Qualität nichtärztlicher Schnelltests steht hinter dem Profitstreben der gewerblichen Tester zurück. 
  • Die Kontrolle der Testenden wird weiter erschwert: Wie viele Tests wurden durchgeführt? Ein Abgleich mit den bestellten und den vor Ort gelagerten Antigen-Schnelltests ist nicht möglich. Wer überwacht die Selbsttests? Vor-Ort-Kontrollen dürften deutlich komplizierter werden.
  • Der Selbsttests bleibt ein Experiment mit ungewissem Ausgang, auch unter Anleitung: Ungeschulte medizinische Laien führen den Abstrich an sich selbst durch. Ob der individuell beschaffte Schnelltest durch falsche Lagerung unbrauchbar wird, kann nicht überprüft werden. In der digitalen Testvariante fällt der Selbsttest qualitativ sogar noch hinter den PoC-Antigentest im Testzelt zurück.
  • Wer wird getestet? Ob die für den Selbsttest angemeldete mit der durchführenden Person identisch ist, lässt sich per Video-Ident ermitteln. Aber nach schweren Datenschutz-Pannen in gewerblichen Schnelltestzentren sind digitalen Testzentren gegenüber größte Vorbehalte angebracht. Die Getesteten geben online weit mehr Daten preis als beim Vorzeigen der Plastikkarte im Testzelt.
  • Die Haftung: Die Öffnung des § 24 Infektionsschutzgesetz (Feststellung und Heilbehandlung übertragbarer Krankheiten) für patientennahe Schnelltests auf das Coronavirus SARS-CoV-2 durch medizinische Laien hat auch eine haftungsrechtliche Dimension. Gerade der Umstand, dass das Fehllerrisiko weitestgehend bei den Testpersonen liegt, lässt die Corona-Startups auf den schnellen Euro hoffen!

Weitere Vorbehalte gegen beaufsichtigte Corona-Selbsttests betreffen die Arbeitsbedingungen (immerhin, weitere Betriebsschließungen wegen Arbeitsschutz-Verstößen sind unwahrscheinlich) und mögliche Nebengeschäfte der Anbieter (Ist das Abschöpfen von Patientendate Haupt- oder Nebenverdienst? Wird hier der Kahlschlag der ärztlichen Infektionsdiagnostik geprobt?).

 

Im Juni 2021 gibt es keine Corona-Notlage. Die Erfahrungen der vergangenen 12 bis 15 Monate lassen auch kein Szenario erkennen, das den SARS-CoV-2-Selbsttest unter Aufsicht -- analog oder digital -- zu einer guten Idee macht.